25.05.2021
Buchrezension: Übertragungsfokussierte Psychotherapie mit schwer gestörten Jugendlichen – Therapiebegleitende Arbeit mit Eltern und Betreuungseinrichtungen







In der Reihe Therapie & Beratung widmen sich die Autoren Gabriele Kehr und Werner Köpp einem wichtigen Thema an der Schnittstelle von Psychotherapie, Pädagogik und Beratung – der Arbeit mit Eltern und BetreuerInnen in Wohneinrichtungen der Hilfen zur Erziehung.

 

Diese Arbeit wird nicht euphemistisch verbrämt, sondern als das gezeigt, was sie ist, nämlich eine hochkomplexe , anspruchsvolle Tätigkeit, die für das Gelingen einer Therapie mit schwer gestörten jungen Menschen von großer Bedeutung ist.

 

Auch wenn die Verfasser wohl in erster Linie Psychotherapeuten als Adressaten im Blick hatten,ist das Buch auch für alle professionell mit diesen Jugendlichen befassten Menschen Gewinn bringend, da sie ohnehin nicht ohne Kenntnisse der psychoanalytischen Pädagogik erfolgreich in ihrer Arbeit sein könnten. Die Transference Focussed Psychotherapy (Übertragungsfokussierte Psychotherapie TFP nach Kernberg) wurde als modifizierte psychoanalytische Behandlungsmethode für Menschen mit schweren Beeinträchtigungen, die mit einer klassischen psychoanalytischen Behandlung überfordert und somit nicht erreichbar wären, entwickelt. Für die Indikation der TFP spielen Identitätsdiffusion und unreife Abwehrmechanismen eine wichtige Rolle. In der Behandlung erfolgt eine Fokussierung auf jene Affekte, die sich in der Übertragungsbeziehung im Hier und Jetzt zeigen.

 

Da die theoretischen Erläuterungen des Buches immer mit Behandlungsbeispielen aus der Praxis unterlegt sind, werden die Techniken der Klärung, Konfrontation, Deutung und des Durcharbeitens transparent. Es ist ein Verdienst des Buches, dass es die Arbeit mit Eltern, die ein eher niedriges Funktionsniveau aufweisen, beleuchtet. Auch wenn bei diesen Eltern ebenfalls Behandlungsbedürftigkeit erkannt wird, gibt es keinen Behandlungsauftrag für sie, sondern nur für ihr Kind. Es gilt also, die Eltern für eine kontinuierliche Mitarbeit zu gewinnen und mit ihnen ein Arbeitsbündnis aufzubauen, dessen gemeinsamer Fokus die jugendliche Patientin oder der jugendliche Patient ist. Anders stellt sich die Kooperation mit BetreuerInnen von Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen dar.

 

Erstmalig wird die therapiebegleitende Einbeziehung des Hilfesystems ausführlich und systematisch von der Diagnostik bis zum Abschluss der Therapie dargestellt und erfahrungsbasiert durch Fallbeispiele unterlegt . Da 44% der Therapiebeendigungen ungeplante Abbrüche darstellen, ist die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit in dem oft hochkomplizierten Geflecht von leiblichen Eltern, Pflegeeltern, Geschwistern, Stief- elternteilen und gegebenenfalls weechselnden BezugsbetreuerInnen nachzuvoll- ziehen. Dies kann nur auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung gelingen.

 

Die Ambivalenz aufsuchender Arbeit, Spaltungsdynamiken in Teams, der Umgang mit Konkurrenz und Neid werden von den Autoren ausführlich diskutiert und bieten Anregung zur Reflexion in beruflichen Settings.

 

Der gut lesbare Gastbeitrag von Irma Gleiss zur Triangulierung verdeutlicht kompakt deren theoretischen Hintergrund. Alle im Text verwendeten Fallsequenzen werden im Anhang noch einmal ausführlich dargestellt. Dadurch wurden die guten Gründe für bestimmte elterliche Reaktionen verstehbar.

 

 

Ein wichtiges Buch, dem interessierte LeserInnen zu wünschen sind.

 

 

Sybille Lenk