20.11.2019
Rezension: Erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Eltern – Vom Ablösekonzept zum Freiraumkonzept







Emmelmann, Ingo, Greving, Heinrich: Erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Eltern – Vom Ablösekonzept zum Freiraumkonzept, Verlag W. Kohlhammer, 1. Auflage, Stuttgart 2019

 

„Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, ist Max immer schon da und hat Kaffee gekocht. Das werde ich sehr vermissen, wenn er dann im Wohnheim lebt“, sagte mir die Mutter eines jungen Mannes mit Down Syndrom. Es ist Max und seinen Eltern zu wünschen, dass sie eine Einrichtung finden, in der dieser wichtige Schritt des Überganges gut reflektiert begleitet wird.

 

Der hier vorliegende Band von Ingo Emmelmann und Heinrich Greving stellt einen wichtigen Beitrag zur konzeptionellen Gestaltung dieser Transistion dar.

 

Im ersten Kapitel werden die dem Freiraumkonzept zugrundeliegenden heilpädagogischen Grundhaltungen skizziert und erläutert, warum die Begrifflichkeit des Freiraumkonzeptes die oft verwendete Formulierung des Ablösekonzeptes ersetzt. Das Freiraumkonzept beschreibt die Möglichkeiten und Chancen einer konstruktiven und wertschätzenden Unterstützung des Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung oder Mehrfachbehinderung. Dessen fünf Phasen bestehend

aus den Phasen „Gemeinsamkeit“, „Loslassen und Freiräume entwickeln“, „Annäherung und Freiräume nutzen“, „Verantwortung übernehmen und Freiräume einschränken“ sowie „Die Zeit nach dem Tod eines Elternteils“ werden sehr ausführlich erläutert.

 

Dabei wird jede einzelne Phase jeweils in Hinblick auf die Aufgaben für den erwachsenen Menschen mit einer geistigen und/ oder Mehrfachbehinderung, auf die Sicht der Eltern und die Tätigkeiten der Mitarbeiter der Wohneinrichtung betrachtet.

 

Besondere Aufmerksamkeit gilt der sorgfältigen Klärung der jeweiligen Rollen, dem Umgang mit ambivalenten Gefühlen und der Mediation häufig auftauchender Konflikte.

 

Mich haben die gut nachvollziehbaren Fallbeispiele von der Lebensnähe des Konzeptes überzeugt und im Zusammenhang mit den Abschnitten, in denen es darum geht, wie die erwachsenen Menschen mit Behinderung ihre alt gewordenen Eltern unterstützen können, auch sehr berührt.

 

In den abschließenden Kapiteln zu Einsatzfeldern, zur Implementierung des Konzeptes und zur Unterstützung im Rahmen der Fachberatung werden Chancen und Risiken aller Phasen gründlich reflektiert. Für die Einführung des Konzeptes werden sie eine große Hilfe sein.

 

Durch die anregenden Reflexionsfragen am Ende der Absätze zu den einzelnen Phasen erhält der Leser zusätzliche Impulse zum gemeinsamen Diskutieren in Ausbildungsgruppe oder Team.

 

Fazit: Eine sowohl für Theorie und Praxis der Organisationsentwicklung als auch das Studium der Heilpädagogik sehr wichtige Publikation.

 

 

Sybille Lenk